Als ich neulich für einen Text keine rechte Idee hatte, stand auf einmal mein Nachbar Bruno vor der Tür. Sechs Flaschen später hatten wir das Problem gelöst.

Seit Bruno und ich nebeneinander wohnen, haben wir viel voneinander. Er hilft mir zum Beispiel, meine angebrochenen Musterflaschen auszutrinken. Dafür hält er mich beim Dorfklatsch auf dem Laufenden. So weiß ich zum Beispiel, dass der Zahnarzt seine Weinflaschen immer nur nach Einbruch der Dunkelheit zum Altglascontainer bringt. Sonst hieße es rasch, der Herr Doktor trinke. Ich weiß auch, dass das Gasthaus letztens Besuch vom Finanzamt hatte und der Besitzer des Supermarktes die Metzgerin von gegenüber ein bisschen zu nett findet…

Lagenklassifikation gegen Gebietsklassifikation – was macht für den Verbraucher mehr Sinn?

Letztens hatte ich noch mehr von Brunos Besuch. Den Kopf zerbrechend saß ich am Schreibtisch, als Bruno plötzlich vor meinem Fenster auftauchte. Ich öffnete. „Was los, Meister?“ fragte er. „Du siehst nachdenklich aus.“

„Ach, ich soll was schreiben über unterschiedlichen Konzepte der österreichischen DAC und der Lagenklassifizierung des VDP und…“

VDP gegen DAC – welche Klassifikation überzeugt meinen Nachbarn Bruno mehr?

„Häää…?!“ machte Bruno. „Ich denke, du schreibst über Wein?“

„Also: Wenn du einen österreichischen Wein vor dir hast, der als DAC gekennzeichnet ist, dann ist der typisch für diese Region bei Rebsorte und Charakter. Unterschieden wird noch in Klassik und Reserve. Der VDP unterscheidet in Gutsweine, Ortsweine, Erste Lage und Große Lage. Da sind also die Einzellagen bedeutender als das Gebiet. Natürlich gibt’s da noch ein paar Feinheiten, aber das ist’s im Großen und Ganzen.“

MfG: VDP gegen DAC

„Aha“, meinte Bruno und kratzte sich am Kopf. „Dann machen wir doch mal ein paar Flaschen auf und dann sage ich dir, ob das aus meiner unbedarften Weintrinkersicht Sinn macht. Fangen wir mit diesem VDP-Dingens an, das klingt komplizierter.“

Ich ging in den Keller und stellte vier Weine von Robert Weil auf den Tisch. „Nee, lass uns mal verschiedene nehmen. Weil wenn das Konzept aufgehen soll, dann muss das auch über Regionsgrenzen und bei verschiedenen Weingütern funktionieren. Was hab ich denn als Konsument sonst davon?“, sagte Bruno.

Ich ging wieder in den Keller und stellte einen Gutswein von Georg Mosbacher aus der Pfalz auf den Tisch. Bruno schenkte ein und nahm einen großen Schluck, ich spuckte dezent in meinen Napf. „Frisch, fruchtig, ein bisschen Kohlensäure. Lecker“, sagte Bruno. Ich stimmte ihm zu. „Eines meiner Lieblingsweingüter aus der Pfalz“, sagte ich und zitierte die Richtlinien des VDP zur Lagenklassifikation: „Gutsweine sind der gute Einstieg in die herkunftsgeprägte Qualitätshierarchie“.

GG – Großes Gewächs. So dürfen sich nur die besten der Besten nennen.

Bruno hält sich nie gerne mit dem Einstieg auf. Deshalb schnappte er sich schnell die zweite Flasche. „Ortswein“, las er vor. „Von Robert Weil. Kiedricher steht drauf, das ist der Ort?“ Ich nickte. „Kiedrich. Wir sind jetzt im Rheingau.“ Bruno trank einen Schluck, ließ nachdenklich den Wein im Glas kreisen, nahm noch einen Schluck. „Der läuft nicht so runter wie der erste. Der ist irgendwie…“ Er suchte nach Worten. „…karger. Wenn der andere Wein eine Blumenwiese im Sommer ist, dann ist der hier eine Salzwiese hinterm Deich. Ich mag das Zeug. Wie beschreibt dein VDP denn diese Kategorie?“

Sind vier Qualitätsstufen zu viel?

„Ortsweine sind Botschafter ihrer Gemeinde. Sie entstammen hochwertigen, charaktervollen und traditionellen Weinbergen innerhalb einer Ortsgemarkung. Neben hochwertigen Weinbergslagen sind regionale Rebsorten und beschränkte Erträge Grundvoraussetzung für diesen Weintyp“, zitierte ich nach einem Blick auf den Schirm meines Laptops. „Viel blabla für mich als Genießer“ sagt Bruno. „Eigentlich wollen sie mir sagen, dass der eine besser ist als der andere und deshalb mehr kostet, oder?“

„Das auch. Aber dass die Rebsorten regional sein müssen und die Erträge beschränkt sind, finde ich auch nicht ganz unwichtig“, erwiderte ich. „Was kosten die beiden denn?“, wollte Bruno wissen. „Der Gutswein acht Euro, der Ortswein 18 Euro“, sagt ich. Bruno spuckte fast seinen Wein über den Tisch. „Was?! Zehn Tacken mehr? Aber so viel besser ist er doch gar nicht!“

„Ansichtssache. Außerdem ist Robert Weil das viel berühmtere und auch bessere Weingut, da kostet schon der Gutswein mehr als 14 Euro“, sagte ich. „Ok, verstehe ich. Wenn’s mir jemand erklärt. Aber wenn ich vor dem Regal stehe, frage ich mich schon was das soll“, sagte Bruno.

Der nächste Wein verwirrte und verärgerte meinen armen Nachbarn dann noch mehr. Ich öffnete eine Erste Lage vom Weingut Bergdolt aus der Pfalz, die Deidesheimer Maushöhle, und nannte Bruno den Preis: 14 Euro. „Da brauch ich erstmal einen Schluck“, meinte er. „Also eigentlich ist dieser Wein laut VDP zwei Klassen besser als ein Gutswein. Aber der Gutswein von Weil ist teurer als hier die Erste Lage…“

GG – ein Großes Gewächs. Das schmeckt auch Bruno großartig.

„Jetzt lass die Preise mal beiseite. Weil gehört einfach zu den Besten. Er spielt in einer anderen Liga und kann diese Preise nehmen, weil die Leute sie bezahlen, weil ihnen der Wein das wert ist. Bleib doch mal bei der Qualität. Was sagst du hierzu?“ Bruno brummte etwas unverständliches, schnupperte am Wein und nahm einen ordentlichen Schluck. „Der hat Power, Kraft und ich schmecke ihn ziemlich lange. Das ist dieser Abgang, von dem du immer redest, oder? Also ich merke auf jeden Fall, dass dieser hier mehr kann als der erste. Der Unterschied zwischen dem Ortswein und der Ersten Lage erkenne ich als Laie aber kaum“, sagte er. „Was sagt denn der VDP zur Ersten Lage?“ Ich zitierte wieder: „Die Erste Lage kennzeichnet erstklassige Lagen mit eigenständigem Charakter und so weiter.“

Bruno nahm zielsicher das Große Gewächs in Angriff, den Schlossberg von Schloss Vollrads aus dem Jahr 2017, wie übrigens alle Weine. Bruno trank, schaute mich an, trank erneut – und lächelte. „Ok. Jetzt habe ich verstanden. Dieser Wein ist so anders als alle anderen drei, so viel besser weil ich schmecke so viel und so lang…da ist mir sogar egal, was er kostet. Weil hier machen diese Qualitätsabstufungen total Sinn, weil sogar ich als Laie das sofort erkenne. Mein Fazit: Dieses System funktioniert mit Einschränkungen und wenn es dir jemand erklärt. Dann trinken wir jetzt die Österreicher!“, rief Bruno mit geröteten Wangen und kippte seinen letzten Schluck Riesling, ich spuckte dezent.

Sind zwei Stufen zu wenig?

„Also“, sagte Bruno und fixierte mich über den Rand seines Glases hinweg, „habe ich es richtig in Erinnerung, dass wir in Ösiland nur zwei Kategorien haben, wenn DAC auf der Kapsel steht, Klassik und Reserve, die Rebsorte ist typisch für das Gebiet. Auf dieser Flasche steht jetzt nicht ob’s Klassik oder Reserve ist, das finde ich schon mal unpraktisch. Auf der Kapsel steht DAC und Weinviertel. Also muss ich mir selber zusammenreimen, dass Grüner Veltliner, was auf dem Etikett steht, typisch ist fürs Weinviertel…“ „Richtig“, sagte ich.

Klassik und Reserve, viel mehr muss mann sich für österreichische DAC-Weine nicht merken.

„Das ist aber ziemlich viel, was ich mir da selber denken muss“, meinte Bruno. „Und ich nehme jetzt mal an – das steht nämlich auch nirgends – dass Klassik eben frischer und simpler ist, so wie vorher der Gutswein. Und die Reserve halt mehr Wumms hat. Gut, her mit dem Wein“, sagte er und ich goss den Ried Hausberg vom Weingut Martins in unsere Gläser. „Pfeffrig, würzig, feinfruchtig muss er sein, wenn er das Siegel haben will“, sagt ich. „Passt“, erwiderte Bruno. „Her mit der Reserve…!“ Er schwankte leicht und ich schenkte uns einen Wein von Maria Faber-Köchl ein, einer ganz wundervollen Person und tollen Winzerin. „Der war im Holz, oder?“ sagte Bruno und ich nickte: „Das darf die Reserve.“

Klassik und Reserve, das war’s. Meinem Nachbarn ist das zu wenig Differenzierung.

Brunos Fazit

Bruno trank auch dieses Glas aus, lehnte sich zurück und seufzte. „Du hast echt einen anstrengenden Job“, sagte er mit schwerer Zunge. „Aber ich konzentriere mich jetzt, Du wolltest ja meine Meinung haben.“ Er kniff die Augen zusammen und nahm einen Schluck Wasser. „Aus meiner bescheidenen Sicht als reiner Konsument finde ich beide Systeme nicht optimal. Beide setzen Wissen voraus, und das habe ich nicht, wenn ich mir zum Beispiel alle sechs Monate mal einen Wein aus Österreich kaufe. Die Deutschen sind mir zu kompliziert mit ihren vier Stufen, das sind zu viele! Und wenn dann auch noch der eine Ortswein fast so schmeckt wie die Erste Lage von seinem Kollegen…dann hilft mir das als Kunde überhaupt nicht weiter. Aber wo der VDP zu viel hat, haben die Österreicher zu wenig, finde ich. Bei nur zwei Stufen fehlt mir der Spielraum…ja, das war’s“, sagt Bruno.

Er stand auf und hielt sich mit beiden Händen am Tisch fest. „Und noch was habe ich heute gelernt“, sagte er. Fragend sah ich zu ihm auf. „Ich weiß jetzt, warum du den Wein immer ausspuckst“, sagte er und ging leicht schwankend hinaus.