Chardonnay und ich – es ist kompliziert

Dabei hatte ich vor ein paar Jahren einen im Glas, der das Zeug zu einem Lieblingswein hatte. Doch uns kam ein Amoklauf dazwischen. Der Versuch einer zweiten Annäherung.

Es war der 22. Juli 2016. Gemeinsam mit ein paar anderen Weinfreaks stand ich an einem Miniflughafen, irgendwo in the middle of nowhere von Washington State. Wir wollten nach Kalifornien fliegen. Weingüter besuchen, was sonst. Es war heiß, einer daddelte auf seinem Handy. „Hey, in München gibt es eine Schießerei“, sagte er. Damals war ich gerade aus München weggezogen.

Kurze Zeit später hoben wir ab. Als wir landeten, war die Nachrichtenlage konfus. Es war die Rede von Tätern, die mit „Langwaffen“ in der Stadt unterwegs seien, von mehreren Toten im Olympia-Einkaufszentrum – nicht weit von dort hatte ich noch wenige Wochen zuvor gelebt.

Die folgenden Stunden verbrachte ich mit einer Hand am Handy. Schockiert las ich Nachrichtenupdate um Update. Dabei saßen wir inzwischen bei Patz & Hall, einem absoluten Spitzenweingut. Donald Patz, einer der zwei Gründer hatte uns empfangen, öffnete einen spektakulären Chardonnay nach dem anderen, zog Korken aus fantastischen Pinot Noirs.

Die Welt kam mir seltsam vor

Ich hatte für keinen davon Ruhe. Meine Gedanken waren bei Freunden, Nachbarn und Kollegen in München. Auf Facebook trudelten mehr und mehr Nachrichten von Menschen ein, die in Sicherheit waren. Auf Twitter boten Münchner ihre Wohnungen als Zufluchtsort an. In der Innenstadt standen Polizisten in schusssicheren Westen und mit sehr großen Waffen.

Und ich saß unter der Sonne Kaliforniens, Wein um Wein probierend, von denen kaum eine runter 50 Euro kostete. Mein Leben und die Welt kamen mir in diesem Moment sehr seltsam vor. Daran wie die Weine schmeckten, erinnere ich mich nicht.

Der Beginn einer neuen Liebe?

Nun fand in der Zeit danach eine Flasche Chardonnay von Patz & Hall ihren Weg in meinen Keller. Und sie blieb dort einige Zeit. Denn diese Rebsorte und ich…wie soll ich sagen? Wir tun uns schwer miteinander. Die Topvertreter liebe ich, immer waren das bislang Franzosen! Wenn keine Frucht mehr da ist, sondern nur noch steinige Würze, Feuerstein…leider sind die meisten hierzulande belanglos fruchtig, wollen sie anspruchsvoll daherkommen, sind sie breit und überladen. Keines davon interessiert mich.

Chardonnay und ich – vielleicht wird das doch noch was?

Nun kam ich eines Abends spät nach Hause und mich gelüstete nach einem Glas Wein. Ohne wirklich hinzusehen, griff ich im Keller irgendeine Flasche. Erst in der Küche schaute ich aufs Etikett: Patz & Hall – 2015 – Sonoma Coast Chardonnay las ich da. Und hintendrauf 14,5% Alkohol. Och nöö, dachte ich. Ich erwartete etwas, worauf ich gerade absolut keine Lust hatte. Aber weil der Weg in den Keller weit, der Durst groß und die Nacht nicht mehr jung war, griff ich zum Kellnermesser.

Ich goss mir ein Glas ein, schnupperte, nahm einen Schluck. Und noch einen. Vom Alkohol war nichts zu spüren, da waren pure Eleganz und Kraft, Würze, etwas Restfrucht und ein wahnsinnig geringer Schluckwiderstand.

Sieh mal an, Chardonnay, dachte ich. Wir zwei sollten es vielleicht doch öfter miteinander probieren.