Wenn mein Nachbar sieht dass es Wein gibt, ist er zur Stelle. Ab und an mit überraschenden Erkenntnissen.

„Guten Nachmittag“, höre ich von draußen über dem Zaun eine wohlbekannte Stimme flöten als vor mir auf dem Schreibtisch drei Gutsweine des VDP, des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter stehen. „Schau mal, bei dir war die Post schon da.“ Ja, vor ungefähr zehn Sekunden, denke ich. Mein Nachbar Bruno deutet auf zwei Pakete, die neben der Tür stehen. „Sieht nach Wein aus“, sagt er mit schief gelegtem Kopf.

Er linst auf meinen von draußen gut einsehbaren Schreibtisch. „Aber ich sehe, du bist ja schon am Arbeiten – also das, was du als Arbeit bezeichnest“, sagt er. Ich hebe kurz den Spucknapf hoch, der neben dem Laptop steht und blicke ihn streng an. „Dein Freund, der VDP, hat wieder Weine geschickt und fragt, ob ich was Kluges drüber schreiben kann.“ (Brunos erste Begegnung mit den Weinen des VDP lest Ihr hier)

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Drei Gutsweine des VDP. „Von Grund auf gut“, sagt der Verband dazu. Was ist dran?

Die Gutsweine des VDP – gut für Bruno

„Was Kluges? Du?“, Bruno kichert. „Ihr Weinfuzzis schwurbelt doch nur rum, flötet was von Aprikosenaromen und Abgängen. Euch fehlt oft die Klugheit zu erkennen, was Menschen wie mir schmeckt. Und das hat sehr viel damit zu tun, was ich mir leisten kann. Ihr sitzt in eurem Elfenbeinturm und ratscht darüber, ob die Weine aus 2012 nun tatsächlich besser altern können als die aus 2014.“ Bruno stemmt die Arme in die Hüften und schaut mich herausfordernd über den Zaun hinweg an. Ich kratze mich am Kopf und gebe ihm im Stillen Recht – ein bisschen zumindest.

 

„Komm hintenrum auf die Terrasse und atme auf dem Weg dahin mal tief durch. Ich habe hier genau die richtigen Weine für dich“, sage ich, schnappe die Gutsweine des VDP, hole zwei Gläser und lasse den Spucknapf stehen. Bruno verachtet dieses Ding.

Er sitzt bereits an dem großen, schweren Holztisch auf der Terrasse und blinzelt in die Sonne, als ich komme. „Herrlich, dieses Wetterchen. Und ich habe gerade auch nichts besseres vor. Keine Arbeit zurzeit, geht ja nichts voran mit diesem Virus“, sagt er. Dass ich das Gefühl habe, dass Bruno ohnehin nie etwas zu tun hat, verschweige ich. Man erzählt sich im Dorf so manches über ihn. Von dass ihm in München zwei Mietshäuser gehören bis hin zu der Geschichte, er sei der Kopf einer Zigarettenschmuggelbande.

Von Silvaner über Riesling zu Müller-Thurgau

„Aber jetzt zeig mal, was hast du da?“, fragt er und schnappt sich die erste Flasche. „Die liegen ehrlich gesagt schon eine ganze Weile hier “, sage ich. „Die hat mir der VDP geschickt, als sie eine Kampagne gemacht haben, um ihre Gutsweine der Welt bekannter zu machen. Ist schon ein bisschen her, aber irgendwie kam ich nie dazu und außerdem finde ich es auch immer charmant zu schauen, wie Weine sich entwickeln.“

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Silvaner vom Zehnthof Luckert in Franken.

„Gutsweine des VDP?“, murmelt Bruno und fummelt eine Lesebrille aus der kakifarbenen Weste mit den viele Taschen, die er immer trägt.Luckert, Franken, Silvaner, Gutswein“, murmelt er. Ich will was sagen, aber er fuchtelt mit seinem leeren Glas vor meiner Nase herum. „Moment!“, ruft er. „Du hast mir das schon mal erklärt. Je enger die Herkunft, desto besser der Wein. Wenn der Name eines Weinberg draufsteht, ist der Wein also schon mal ziemlich gut. Wie heißen doch gleich die anderen Kategorien? Gutswein und…?“ „Ortswein“, antworte ich. „Ha, dann ist das einfach“, erwidert Bruno. „Ein Ort ist größer als ein Weingut. Also ist der Gutswein besser als der Ortswein.“ Zack hat er die Flasche offen, schenkt sich ein und nimmt einen großen Schluck. „Hei“, murmelt er. „Das ist aber mal fein.“

Gutswein und Ortswein – nicht immer leicht verständlich

„Ja“, sage ich. „Aber deine Erklärung war leider falsch.“ Empört blickt Bruno mich an. „Wieso? Was haben sich die Weinklugscheißer da wieder einfallen lassen?!“ „Bei einem Gutswein dürfen die Trauben aus allen Weinbergen kommen, die dem Weingut gehören. Bei einem Ortswein müssen sie aus Anlagen sein, die zu einem bestimmten Ort gehören.“

„Versteht ohne Erklärung mal wieder keiner. Warum steht das nicht auf diesen Flaschen?“, sagt Bruno. „Aber sag, warum will mein Freund der VDP diese Weine bekannter machen?“ „Bei den Gutsweinen war in der Vergangenheit manches ein bisschen unscharf“, antworte ich. Bruno lacht. „Also es wurde gemauschelt und geschummelt. Aber du willst das gerade nicht laut sagen. Ok. Aber erklär’ mal. Er schenkt sich aus der zweiten Flasche einen großen Schluck ein. Er hat den Gutsriesling von Wittmann erwischt. „Du darfst als VDP-Weingut Trauben oder Wein von anderen Winzern zukaufen. Der Wein, den du daraus machst oder abfüllst, darf auf der Kapsel aber keinen Adler haben und nur über ein separates Weinhaus vermarktet werden. Das nahm der eine oder andere in der Vergangenheit wohl nicht immer so ganz genau – erzählt man sich“, sage ich. Bruno schenkt nach.

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Riesling von Philipp Wittmann in Rheinhessen.

„Inzwischen sind die Regeln glasklar. Alles was Zukauf ist geht ins Weinhaus. Wo der Adler auf der Kapsel ist, sind nur Trauben aus den eigenen Weinbergen drin. Außerdem müssen sich die Etiketten deutlich unterscheiden. So dass nicht mal du einen Wein von Philipp Wittmann mit einem vom Weinhaus Wittmann verwechseln kannst.“ „Es freut mich ja immer sehr, wenn man meinem beschränkten Verstand entgegen kommt“, grinst Bruno und zwinkert mir aus klaren Augen zu.

Adler auf der Kapsel? VDP drin.

Wer lehnen uns in unseren Stühlen zurück. Ich schließe die Augen, höre, wie Bruno die dritte Flasche öffnet und mir ein großer Schluck des Jott von Achim von Oetinger ins Glas gluckert. Die Sonne wärmt unsere Gesichter. Längst haben wir beide die Schuhe ausgezogen. Ich nehme einen Schluck in Bruno-Größe. Geiler Stoff. Es ist still um uns herum. Die Landstraße unten am See, die sonst hier ganz gut zu hören ist, ist in Corona-Zeiten meist verwaist. Eine Taube setzt sich in die Zweige der Kiefer und gurrt leise. Im Wald ruft jemand seinen Hund. Noch ein Schluck. Ich werde schläfrig.

„Sag mal“, reißt mich Brunos Stimme zurück ins Wachsein. „Das Gutsweine des VDP besser sind als ihr Ruf, das klingt ja gerade alles sehr plausibel, was du mir erklärt hast. Aber wie war das nochmal mit der Benennung von Weinen, die bisschen süßer sind? Und warum dürfen alle Rebsorten Gutsweine werden aber nicht Große Gewächse?“

Ich setze mich auf und starre ihn an. Bruno blickt sehr ernst. Dann kichert er. „Ich hab mir neulich ein Weinbuch gekauft und bisschen was gelesen. Aber ich hab’s nicht verstanden, beziehungsweise fand es langweilig. Und da dachte ich mir, ich lass es mir einfach von Dir erklären.“ „Und hoffst dabei darauf, dass ich zu Illustrationszwecken ein Großes Gewächs aus dem Keller hole?“

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Müller-Thurgau von Achim von Oetinger im Rheingau.

Bruno schaut angestrengt in die andere Richtung, winkt der Taube zu und schenkt sich noch etwas ein. „Nächstes Mal Bruno, nächstes Mal“, sage ich und schließe wieder die Augen.

Zurück an den Schreibtisch

Als mein Nachbar sich zwei Gläser später wieder erhebt, irgendwas davon murmelt, er müsse noch seinen Hühnerstall reparieren, mache ich mir einen starken Kaffee und setze mich wieder an den Schreibtisch.

Wenn ich Weine verkoste, und es keine Akkordarbeit ist wie beim Gault&Millau in den vergangenen beiden Jahren, dann gebe ich mir und den Weinen gerne Zeit. Meist öffne ich sie am frühen Abend für einen ersten Probeschluck. Dann trinke ich ein oder zwei Gläser zum Abendbrot um zu schauen, wie sie sich bis dahin entwickelt haben und wie sie sich zum Essen schlagen. Was übrig ist, kommt in den Kühlschrank und bleibt dort bis zum nächsten Abend.

Je nach Wein, Wochentag und Stimmung ist das mal mehr und mal weniger. Und wenn Bruno vorbeischaut, muss ich einen letzten Schluck eisern verteidigen. Ganz selten muss ich mich so zurückhalten, wie beim Silvaner aus dem Jahr 2018 vom Zehnthof Luckert aus Franken. Der Wein ist direkt nach dem Öffnen dermaßen auf den Punkt würzig und mundwässernd süffig, dass ich nur mit Mühe einen Schluck für die Nachprobe in 24 Stunden aufheben möchte. Bei der muss ich allerdings auch sagen, dass ich ihn lieber schon am Vorabend ausgetrunken hätte. Nun wirkt der Wein etwas müde und unrund, die Würze ist abgeflacht, die Süffigkeit irgendwo im Nebel verschwunden…

Mein Favorit: der Müller-Thurgau

Andersherum ist es bei den anderen beiden Weinen. Der Riesling von Wittmann und der Müller-Thurgau von Oetinger sind am ersten Abend karg und verschlossen. Fast komplett voll stelle ich die Flaschen zurück in den Kühlschrank. 24 Stunden später hat sich das gewandelt. Der Wittmann ist nun schlank und straff, in der Nase nach wie vor sehr dezent, am Gaumen aber von einer funkelnden Frische, die gute Laune macht.

Der von Oetinger aus dem Jahr 2017, der am ersten Abend abweisend wirkt wie ein schlecht gelaunter Türsteher, ist nun mein Favorit. Leicht mostige Noten, umwoben von feiner Zitrusfrucht und etwas, das an frischen, jodigen Seetang erinnert, machen unfassbar Lust auf den ersten Schluck. Der rinnt dann auch runter wie nichts, das Großhirn gibt die Kontrolle ab und überlässt dem dumpfen Trieb der Lust den Lauf und den Rest der Flasche…einziger Makel: Sonderliche Länge hat der Wein nicht. Ist mit aber egal, ich nehme mit großen Vergnügen den nächsten Schluck.