Die große Unbekannte, Die unbekannte Schönheit, Groß aber oho – für die Überschrift für einen Text über das österreichische Weinviertel könnte ich tief in die Kiste mit den angestaubten Floskeln greifen. Denn sie stimmen alle.
Meine Reise ins Weinviertel beginnt mit einem Missverständnis. In welches Weinviertel ich denn fahre, werde ich immer wieder gefragt. An den Bodensee? Nach Südtirol? In die Toskana? Gar nach Bordeaux? Dass es im Osten von Österreich tatsächlich das Weinviertel gibt, ist oft noch immer unbekannt.
Nun hatte ich die Gelegenheit, ein paar Tage lang die Gegend zwischen Hohenwarth und Martinsdorf zu durchstreifen. Ich habe viele Winzer kennengelernt, noch mehr Weine probiert und kann nur empfehlen, es mir gleichzutun. Und das, obwohl das Weinviertel keine Gegend ist, in die man sich ratzfatz und auf den ersten Blick verliebt wie die Toskana oder die Provence.
Nicht weit von Wien und vielen unbekannt: Das Weinviertel
Selbst Wiener, die direkt daneben wohnen, meiden die Region oft nach wie vor. Das hat Gründe – und Vorteile. Die Gründe liegen in der Geschichte. Das Weinviertel war immer arm und landwirtschaftlich geprägt. Warum hätte man dorthin fahren sollen? Selbst die Heere, die in der kriegerischen Vergangenheit Österreichs immer wieder durchs Weinviertel zogen, preschten so schnell wie möglich durch. Wien war das Ziel.
Deshalb liegen die Dörfer übrigens immer in den Senken und Tälern, sie sollten vor den Augen der Feinde verborgen bleiben. Der zweite Grund ist der Wind, der andauernd und oft recht kalt weht.
Später dann war im Osten des Weinviertels Europa zu Ende. Die Slowakei und Tschechien gehörten zum Ostblock. Da ging der Eiserne Vorhang runter, dahinter lebte der Klassenfeind. Dorthin fuhr man nicht, von dort blieb man weg. Der Wiener an sich, so wurde mir erzählt, hat heutzutage noch immer ein komisches Gefühl, wenn er die Donau in Richtung Norden überquert. Dabei ist man von fast überall im Weinviertel in einer Stunde im Zentrum der Hauptstadt. Erst seit kurzem führt eine Autobahn bis kurz vor die Grenze. In meinen Ohren klang das zwar ein bisschen wie aus einer anderen Zeit, aber das bedeutet für die Menschen tatsächlich viel: das Gefühl, angebunden zu sein und dazuzugehören.
Das Weinviertel ist nicht hip. Und wenn ich mal egoistisch sein darf, dann wünsche ich mir, dass das auch noch eine Weile so bleibt, denn dahinter verbergen sich die Vorteile. Persönlich mag ich’s halt gerne verschnarcht und außerdem lässt sich in so einer Region viel mehr entdecken, dort gibt es noch echte Geheimtipps – und um mal wieder auf den Wein zu kommen: fantastische Sachen für sehr wenig Geld. Und je weniger angesagt eine Gegend ist, umso größer ist die Chance, dass sich dort was entwickelt.
Von Grünem Veltliner über Riesling bis zu Chardonnay: Spannung pur
Die Winzer haben nichts zu verlieren und weil Grund und Boden günstig sind, können sich Querdenker und -einsteiger niederlassen, die woanders nie im Leben die Möglichkeit dazu hätten. Zum Beispiel die nette Fotografin Astrid Bartl, mit der zusammenzuarbeiten ich die Freude hatte. Sie bewirtschaftet im Nebenerwerb mit ihrem Mann einen Hektar Reben, woraus die beiden einen fantastischen Orange Wine und einen exzellenten Pet Nat keltern.
Will man sich im Weinviertel wohlfühlen, darf man keine Probleme mit Stille und Langsamkeit haben. Denn beides gibt es im dort zur Genüge. Sanfte Hügel erstrecken sich so weit man blicken kann. Auf den kalten Nordseiten wachsen Wald, Getreide oder Mais, auf den der Sonne zugewandten Südseiten stehen meist Reben. Die Straßen sind klein und immer wieder knattert vor mir ein Traktor, wie sie in Deutschland schon längst von den Straßen verschwunden sind: klein, mit offenem Führerstand, stinkend und sehr sehr langsam.
Touristische Infrastruktur gibt es oft keine. Es werden noch Fremden- und keine Gästezimmer vermietet, gute Restaurants gibt es nur wenige und meine Frage, was man denn dort oder da mit Kindern unternehmen könne, ruft meist ein ratloses Achselzucken hervor. Dafür sehe ich immer wieder Wildhasen neben der Straße und ab und an auch mal ein Wildschwein. Wer anhält und aus dem Auto steigt, hört hier und da mal einen der kleinen, alten Traktoren knattern, sonst pfeift nur der Wind.
Übrigens ist das Weinviertel die größte Weinbauregion Österreichs. Fast 14.000 Hektar stehen dort, im ganzen Land sind es etwas mehr als 45.000. Die bedeutendste Rebsorte ist der Grüne Veltliner, der sagenhaft werden kann, wenn…ja wenn…Winzer*innen ihn weder frisch-fruchtig-banal keltern, noch ihn mit übermäßigem Holzeinsatz aufpumpen wie ein Bodybuilder seinen Körper.
Zwei Winzer, die mit der Rebsorte ausnehmend gut umgehen, sind Hans Setzer und Leopold Uibel. Die beiden könnten unterschiedlicher kaum sein und stehen damit für die große Bandbreite an Stilen, die man im Weinviertel findet.
Eher klassisch: Hans Setzer
Winzer empfangen Journalisten gerne in einer Art Berufsuniform: der Daunenweste. Die ist beim Arbeiten im Weinberg praktisch und vermittelt mir und meinen Kollegen sofort, dass da ein fleißiger, ehrlicher Handwerker vor uns steht. Hans Setzer hingegen ist so makellos gekleidet, dass ich mir sofort underdressed vorkomme, als er mir zur Begrüßung die Hand reicht.
Seine Schuhe glänzen wie meine, als ich sie gekauft habe und so ein Sakko ziehe ich zu Familienfeiern an – wenn das seine Alltagskleidung ist, was trägt der Mann eigentlich, wenn er sich schick macht, frage ich mich im Stillen. Setzer wirkt so makellos wie ein frisch geputzter Stahltank.
Nach makellos, fast nach glatt gebügelt, klingt auch das, was er mit seinen Weinen macht: Ausbau im Stahltank, auch die Topweine. Wer sich jetzt umdreht und geht, weil ihm das alles zu banal klingt, der macht einen der größten Fehler, den man im Weinviertel machen kann. Denn Hans Setzer ist einer der besten Winzer und einer der Pioniere in dieser unterschätzten österreichischen Weinregion.
Wir sitzen im Verkostungsraum und probieren uns einmal quer durch das Sortiment. Mit ruhiger Stimme erklärt Setzer seine Weine. Bis auf eine Ausnahme – dazu gleich mehr – keltert er alles im Stahltank. Für ihn die beste Art, jeden einzelnen Weingarten in die Flasche zu bekommen. Holz hat da nichts zu suchen, das verändert für ihn den Wein zu sehr. So lässt sich an seinen drei Reserven wunderbar beobachten, was das Terroir ausmacht. Alle drei behandelt er gleich und alle drei schmecken komplett anders. Dabei bleiben sie immer schlank, geradlinig und kühl. „Ich mag nicht diese ‚Las Vegas in the bottle‘ Weine. Wir haben karge Böden und das findet man auch in unseren Weinen wieder“, sagt er.
Trotzdem juckte es ihn, das mit dem Holz mal auszuprobieren. „Wer ausgelernt hat, ist der erste Verlierer“, sagt Setzer. Und so steht vor uns als letztes eine Burgunderflasche Grüner Veltliner Große Reserve aus dem Jahr 2015. „Ich wollte ein Fass, das dem Grünen Veltliner möglichst viel Grünen Veltliner lässt. Deshalb sollte es aus Akazie und Eiche gemacht sein, damit der Einfluss der Eiche nicht zu stark wird“, sagt er. Er fand tatsächlich einen Fassmacher, der ihm so etwas baute: die Böden aus Akazie, den Rest aus Eiche. Darin vergärte der Wein aus Setzers besten Trauben und reifte im Anschluss für zwölf Monate.
Ich probiere einen Schluck und finde genau das wieder, was Setzer eben meinte: Ein Grüner Veltliner, der eindeutig Grüner Veltliner ist, nicht zugeholzt, nicht fett, nicht breit sondern vom Holz noch eine Dimension reicher gemacht. Noch ist nicht alles stimmig, noch ist der Wein zu jung. Aber ich bin mir sicher, dass da in vielleicht fünf Jahren großes Kino auf uns zukommt. Ein ungewöhnlicher Setzer-Wein, aber ein sehr spannender.
Dass was er tut, manchmal ungewöhnlich wirkt, ist Setzer gewohnt. Das ging damit los, dass er seinem Vater eines Tages eröffnete, dass er den Familienbetrieb zwar übernehmen, in Zukunft aber nur noch Wein machen werde. Dazu muss man wissen, dass im Weinviertel gemischtlandwirtschaftliche Betriebe eine lange Tradition haben und es noch immer viele gibt, für die der Wein nur ein Produkt von vielen ist. Das liegt unter anderem an der Geografie: An den kühlen Nordhängen der Hügel gedeihen zum Beispiel Getreide und Mais, an den sonnigen Südhängen der Wein. So war es zehn Generationen lang auch bei den Setzers.
Ihnen gehört das Gut seit dem Jahr 1705. Die Familie ist eine Institution im Örtchen Hohenwarth. Und dann kommt der Sprössling daher und hat ganz andere Pläne – da schauten die anderen Landwirte erst mal komisch. Allein schon, dass der junge Hans nach dem Abschluss der Weinbauschule in Klosterneuburg in die Welt hinausfuhr. Gemeinsam mit Uli, dem Mädchen, dass er damals kennengelernt hatte und mit dem er inzwischen seit einem Vierteljahrhundert verheiratet ist. „Meine Eltern sind damals vielleicht mal in die Champagne gefahren“, sagt er. „Aber wir wollten uns anschauen, was die Winzer anderswo machen.“
Von nun an gab es keine Investitionen mehr in die Landwirtschaft, das Geld floss in den Weinbau. „Mein Vater war zwar eher der Landwirt, er hat mir aber Freiheiten gelassen“, sagt Setzer. Als der Senior sich vor 25 Jahren zur Ruhe setzte, verpachtete die Familie ihre Ackerflächen. Damit waren sie die ersten im Ort, inzwischen haben andere nachgezogen.
Aktuell gehören ihnen 15 Hektar selbst, von 15 weiteren kaufen sie die Trauben zu. Die Hälfte ist mit Grünem Veltliner bepflanzt, 15 Prozent mit Rotem Veltliner, der übrigens nicht verwandt ist mit dem Grünen. Zweigelt und Merlot sind mit jeweils zehn Prozent vertreten. Der Rest sind Weißburgunder, Riesling und Chardonnay. „Was Rotes habe ich seit 20 Jahren nicht mehr gepflanzt“, sagt Setzer.
Eine seiner ersten Ideen als er einstieg, war die dichte Bepflanzung der Weingärten. Damals waren 2.500 Rebstöcke pro Hektar normal, die Setzers pflanzten von Anfang an mindestens 4.000. In einer ihrer besten Lagen stehen sogar 8.000 – die Reserve aus diesem Weinberg heißt auch so. Die Konkurrenz um Wasser und Nährstoffe zwingt die Wurzeln der Reben in die Tiefe, bis zu 25 Meter reichen sie hinunter. Das ist im Weinviertel und ganz besonders in Hohenwarth ein großer Vorteil. Die Region zählt zu den trockensten Weinbaugebieten überhaupt. Pro Jahr fallen zwischen 300 und 400 Millimeter Niederschlag. Wäre es auch nur ein Tropfen weniger, wäre Weinbau nicht mehr möglich. In Hohenwarth kommt die besondere Lage noch dazu. Der Ort liegt auf 400 Metern Meereshöhe und von dort aus geht es in alle Richtungen bergab – das wenige Wasser läuft also auch noch ab.
In 25 Metern Tiefe finden die Reben aber selbst dann noch Wasser, wenn wie im Jahr 2017 in sechs Monaten gerade mal 100 Millimeter fallen. „Seit diesem Jahr sprechen alle von Bewässerung. Ich bin davon kein Freund“, sagt Setzer. „Mit Bewässerung hat man weniger Komplexität im Wein und umweltpolitisch wäre das auch nicht in Ordnung.“
Setzer ist kein Biowinzer, macht sich aber viele Gedanken um das, was er tut. Im Frühling begrünt er jede Reihe in seinen Weingärten mit einer eigens entwickelten Saatmischung. Glyphosat kommt ihm nicht an die Reben, er arbeitet in den steilen Lagen mit einem sanften Herbizid. „Jede Handlung, die dem Boden zuwider geht, ist doch ein Schuss ins Knie“, sagt er.
Zumal die elfte Generation bereits mitarbeitet. Tochter Marie-Theres ist Anfang 20 und nach einem Studium in Geisenheim wieder nach Hause zurückgekehrt. Der zwei Jahre jüngere Sohn Eugen kommt nach der Weinbauschule in Krems und einem extra Jahr in Weinmanagement ebenfalls nach Hause zurück – eines Tages werden die beiden das Weingut übernehmen.
Wir sitzen im Innenhof des Weinguts, die Sonne scheint, das von Uli Setzer gekochte Mittagessen war wundervoll. Ich frage Hans Setzer, ob das nicht schwierig werden wird, mit noch nicht mal 50 Jahren allmählich loszulassen, der Jugend ihren eigenen Weg und die Fehler zugestehen, die sie sicher machen werden?
„Ich freue mich richtig auf den Input, den die Kinder einbringen“, sagt er. „Ich hoffe auch, dass ich offen genug bin für alles.“
Eher wild: Leopold Uibel
Also optisch ist das kein Highlight, denke ich, als ich vor dem Tor zum Weingut Uibel in Ziersdorf im westlichen Weinviertel stehe. Ein graues Haus an einer leeren Straße. Hier entstehen also die meiner völlig subjektiven Meinung nach spannendsten Weine des Weinviertels. Mindestens.
Klammer auf: Wer auf gewöhnliche Weine steht, der muss jetzt nicht unbedingt weiterlesen…oder halt! Gerade der sollte jetzt weiterlesen!! Denn die Weine von Leopold Uibel sind eine Message aus einer anderen Weinwelt an uns und wir sollten uns zumindest die Zeit nehmen, sie zu hören. Klammer zu.
Diese Weine beeindrucken nicht durch quietschige Fruchtaromen, diese Weine gefallen nicht vordergründig, dafür sind diese Weine am nächsten Morgen auch nicht vergessen. Leopold macht Weine, die man nicht nur schmeckt – weg von der Frucht, hin zur Würze – sondern die man viel mehr fühlt. Auf der Zunge, am Gaumen, im Körper, im Hirn, im Herz.
Diese Weine sind belebende Elixiere, die den Geist beflügeln, die nicht betrunken machen – ok, irgendwann schon – sondern wach und den Gedanken jene Leichtigkeit verleihen, die sie fliegen lässt.
Leopold zeigt mir seinen „Keller“ – eine schmucklose Halle, in der eine wortkarge Praktikantin aus Geisenheim den Boden wischt. „Das Gebäude haben wir seit 2013“, sagt Leopold. „Der alte war ein richtiger Keller in einer alten Kellergasse. Aber er war zu klein und wir mussten den Wein zu viel herumpumpen. Außerdem kann ich hier alleine arbeiten.“ Nachteil: die Temperatur zu kontrollieren ist schwieriger und die Luftfeuchtigkeit etwas zu niedrig.
Zurück zu den Anfängen. Leopold sieht heute noch ein bisschen so aus, wie es zu seinem früheren Job, ach was: Leben passt. Da saß er in Büros in Wien und machte irgendwas mit Software. Mit seinem Käppi und dem Bart würde er noch immer dorthin passen. Nur die Gummistiefel stören.
Die Eltern hatten aber diese typische Weinviertler Landwirtschaft. 20 Hektar Acker, zwei Hektar Wein. Und wie es manchmal so läuft im Leben…2007 ging bei ihm gerade irgend so ein Projekt zu Ende, er konnte ein paar Flächen dazu kaufen und irgendwoher schlich der Gedanke an, wann, wenn nicht jetzt? So kam’s, dass sein Bruder die Äcker übernahm und Leopold den Wein, inzwischen hat er siebeneinhalb Hektar.
Grüner Veltliner aus Österreich mal anders
„Im Wein kannst du dich ausleben, bist Landwirt, Manager, Designer“, sagt er. Und Leopold sagte sich, wenn er das macht, dann richtig. Er versuchte erst gar nicht, mit dem Strom zu schwimmen, als kleiner Anfänger gehst du da sowieso unter. Er war klein, er war neu und suchte sich von Anfang an Pfade abseits des Mainstreams. Deshalb sein Slogan: Wein für Fortgeschrittene.
Leopold reduzierte im Weingarten die Erträge, ließ die Weine lange auf Maische und Hefe. Er versuchte immer, das Extreme rauszukitzeln, „ich will in meinen Weinen die unterschiedlichen Rebsorten und Lagen schmecken“, sagt er. Und: „Wenn jemandem alle meine Veltliner schmecken, dann habe ich was falsch gemacht.“ Dabei geht er auf jeden Wein, jedes Fass individuell ein. Wein, so sagt er, sei zu lebendig um fixe Rezepte zu machen. Wir sitzen in seinem Heurigen und probieren uns einmal quer durchs Sortiment.
Wie schmeckt das alles also? Anders. Das sind Weine, für die Worte nicht genügen. Die muss man schmecken, viel mehr fühlen – erleben! Blick in meine Notizen: Beim „Hundsberg“ einem der Lagenweine, habe ich aufgeschrieben: Dichte, Schmelz, Konzentration, WOW, stoffig.
Klar ist Leopold nicht der günstigste Winzer im Weinviertel. Aber mal ehrlich: Für diesen Stoff ist das immer noch verdammt wenig Geld. Schon die Einstiegsweine machen richtig Freude. Und Leopold und ich sind einer Meinung – lieber weniger und dafür geil.